Pilates Technik erklärt
Pilates & Faszien (2)
So funktionieren die Faszien
04. Juli 2022, von Mag. Maria Felsner
Was ist „Tensegrity“
Der Begriff „Tensegrity“ setzt sich zusammen aus Tension = Spannung und Integrity = Zusammenhalt, Integrität. Wir finden diese Bezeichnung primär in der Architektur.
“Tensegrity ist ein Konstruktionsprinzip, das auf einem System von isolierten, unter Druck stehenden Bauteilen innerhalb eines Netzes mit kontinuierlicher Spannung beruht und so angeordnet ist, dass sich die komprimierten Elemente (in der Regel Stäbe oder Streben) nicht berühren, während die vorgespannten, gespannten Elemente (in der Regel Seile oder Spannglieder) das System räumlich begrenzen.”
Wikipedia (2022): Tensegrity, [online] https://en.wikipedia.org/wiki/Tensegrity [04.07.2022], übersetzt mit deepl.com.
Was unterscheidet das Tensegrity Konzept von der Biomechanik?
In den meisten Anatomiebüchern wird der Körper sehr strukturell und mechanisch beschrieben.
Man stellt sich eine Skelettstruktur vor, welche über Bänder und Muskeln zusammengehalten und über ein System von Flaschenzügen und Hebeln bewegt wird. Bezogen auf die Wirbelsäule, wurde diese wie Ziegelsteine, die übereinander geschichtet sind, dargestellt, auf welchem das Gewicht vom Kopf über den Oberkörper auf der Lendenwirbelsäule lastet.
Diese Anschauung der Wirbelsäule ist überholt.
Die Wirbelsäule und Tensegrity
Die Wirbelsäule gliedert sich in einen vorderen und einen hinteren Teil. Innerhalb der Wirbelsäule im sogenannten Wirbelkanal befindet sich das Rückenmark.
Im vorderen Teil, fachsprachlich die anteriore Säule genannt, sehen wir die Wirbelkörper und Bandscheiben.
Im hinteren Teil, fachsprachlich die posteriori Säule genannt, sehen wir die Wirbelbögen mit ihren zahlreichen Fortsätzen.
Würde man nur den vorderen Teil betrachten, erkennt man darin einen Turm aus runden Platten, zwischen welchen die zähen Bandscheiben stecken. Die Wirbelsäule wäre in alle Richtungen beweglich, so wie bei einer Echse.
Würde man nur den hinteren Teil betrachten, wo an den Wirbelbögen und Fortsätzen Muskeln und Bänder ansetzten, kann man erkennen, dass dieser Teil der Wirbelsäule weniger beweglich ist.
Die Formen der ineinander verschachtelten Facetten ermöglichen oder verhindern bestimmte Bewegungen. Dies wiederum sorgt für Stabilität und eine gewisse Geschmeidigkeit.
Das Tensegrity–Konstrukt kann erklären, wie die Knochen der Wirbelsäule übereinander schweben, da sie im hinteren Teil der Wirbelsäule an den überlappenden Gelenkfortsätzen (Processus articulares) über die fasrigen Kapseln dieser Zwischenwirbelgelenke wie Schlingen agieren.
Somit kann jeder Wirbel in der oberen Schlinge des Wirbelgelenkes sozusagen „schwimmen“.
Dieser funktionelle Aufbau trägt im Wesentlichen zur Resilienz der Wirbelsäule bei.
Fazit: Anstatt unsere Wirbelsäule wie auch unseren Körper als einen stabilen Rahmen, an welchem die Muskeln und Bänder aufgehängt sind, zu sehen, können wir uns den Körper dank des Tensegrity Models in einem dreidimensionalen Netzwerk vorstellen, welches unter einer funktionellen Spannung steht. Darin können die Knochen sozusagen „frei schweben“.
Thomas Myers beschreibt in seinem Bestseller „Anatomy Trains“ ein strukturelles Faszien–Beziehungsprinzip und stellt in diesem auch die myofaszialen Meridiane vor, die als Zuglinien die Belastung verteilen, Kraft übertragen und somit die Struktur und Funktion des Körpers beeinflussen.
„Körperliche Fitness erhält man weder durch Wunschdenken, noch kann man sie käuflich erwerben.“
JOSEPH PILATES
Hier kannst du unsere LIVE Pilates Stunde zum Thema nachsehen. In dieser LIVE Stunde vertiefen wir die Tipps zum Thema „Pilates & Faszien 2 — Faszien noch gezielter ins Pilates Training integrieren“.
Faszien mit Pilates trainieren
Mir ist es besonders wichtig, die Faszien noch gezielter in das Pilates Training zu integrieren, um so eine Verbesserung der Kraft– und Bewegungseffizienz zu erreichen.
Wie erreichen wir eine spezifische Integration der Faszien in das Pilates Training?
Die Integration des Faszientrainings in unser Pilates Training basiert auf folgenden Grundlagen:
- Beseitigung von Blockaden für einen freien Fluss von Nervenimpulsen:
Durch die Selbstmassage mit einem Ball, Stab, Rolle etc. können wir spezielle Punkte, sogenannte Triggerpunkte, manipulieren.
Was passiert bei der Massage?
Der auf das Bindegewebe ausgeübte Druck führt zu einem Flüssigkeitsaustausch im Gewebe, wodurch Lymphe und andere Stoffwechselprodukte abtransportiert werden.
Es wird empfohlen, in erster Linie langsam und mit einem Gefühl des „hineinschmelzenden“ Drucks zu massieren. Dadurch verringert sich der Tonus, was sogar eine gewisse Steifheit und Verfilzungen in den Faszien löst.
Schnelles Rollen belebt das Fasziengewebe und erhöht dadurch die Spannung. Daher empfiehlt es sich, schnelles, aktives Rollen VOR dem Training zu machen.
- Übungen durch Vorspannung in der myofaszien Line optimieren:
Wir wissen, dass das Aufspannen bzw. Dehnen der Faszien die mechanischen Eigenschaften verbessert. Aufgrund der langkettigen Faszienlinien durch den gesamten Körper, müssen die Übungen möglichst viele dieser Ketten mit einbeziehen.
Wir achten daher darauf, dass die Übungen nicht nur auf einer zweidimensionalen, sondern auf einer mehrdimensionalen Ebene ausgeführt werden. Das heißt, wir drehen und bewegen den Körper in alle Richtungen.
Somit kommen wir auch in eine reaktive neuromuskuläre Dehnung.
Vorteile der Faszien–Integration ins Pilates Training
- Das Training umfasst so gut wie ausschließlich kinästhetische Übungen, die darauf abzielen, das Bewusstsein für Bewegungen und Koordination zu schärfen. Dies ist enorm wichtig, da der kinästhetische Sinn bzw. die Tiefensensibilität (Propriozeption) in der heutigen Zeit in den meisten Trainingsformen viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt.
- Es werden im Training Selbstmassagen eingebaut, welche Verfilzungen und Blockaden lösen können. Ein freieres Bewegen ist dadurch möglich.
- Das Training beinhaltet mehrere Zugänge zur gezielten und bewussten Atmung. Dadurch schaffen wir nicht nur Raum im Körper, sondern lernen auch, die Muskelkraft zu steuern sowie uns zu entspannen.
- Das Training beinhaltet mehrdimensionale Bewegungen, was eine einseitige Muskelbelastung so gut wie ausschließt.
- Das Training fordert nicht nur körperlich, sondern auch geistig, sprich kognitiv. Es schult die kinästhetische Wahrnehmung, was uns mehr Bewusstsein für Körper und Geist verleiht.
Was bedeutet Kinästhetik?
Unter Kinästhetik versteht man die Fähigkeit, Kraft–, Raum– und Spannungsverhältnisse der eigenen Bewegung wahrzunehmen. Und genau auf diese Fähigkeit zielt Pilates ab.
Wir lernen, die Übungen achtsam durchzuführen.
Wir schulen die Körperwahrnehmung, um einen flüssigen und gleichmäßigen Bewegungsablauf zu erzielen.
Wir binden Muskeln und Faszienlinien mit ein, um dann wieder eine optimale Kraftübertragung sowie Entspannung zu erzielen.
Durch das Pilates Training mit gezielt integrierten Faszienübungen können wir es sogar schaffen, dem körperlichen wie auch geistigen Abbau entgegenzuwirken und im besten Fall, Verletzungen zu vermeiden.
Fazit: Man erkennt, dass es viele verschiedene Zugänge zur Faszien–Manipulation gibt. Sie reduziert sich nicht auf eine Technik wie Massage, Dehnung, Kräftigung oder Laufen. Faszien sind ein multifunktionelles Konstrukt, welches auf vielen Eben erreicht werden kann. Deshalb ist es für mich wichtig, unterschiedliche Ansätze im Training aufzuzeigen, welche weit über ein klassisches zweidimensionales Training hinaus gehen und auch den Geist mit einbeziehen.
PS: Mit unserem Pilates Trainingskalender kannst du spielend einfach das regelmäßige Pilates Training in deinen Alltag integrieren und bleibst motiviert.