Pilates Technik erklärt
Der Hüftbeuger
Ein vielseitiger, sensibler Muskel
14. Jänner 2023, von Mag. Maria Felsner
Der Hüftbeuger
Hast du schon einmal vom Musculus Iliopsoas gelesen oder gehört? Nein?
Umgangssprachlich wird diese Muskelgruppe als Hüftbeuger bezeichnet. Diese Muskelgruppe hat aber eine weitaus größere Aufgabe, als nur unserer Hüfte zu beugen…
Bevor wir uns mit den Funktionen des Iliopsoas auseinandersetzen, möchte ich kurz auf die Anatomie der Muskelgruppe eingehen. Dadurch bekommt man leichter ein Verständnis dafür, warum gerade diese Muskelgruppe Rücken–, Hüft– und Gesäßschmerzen auslösen kann und Einfluss auf unsere Organe, Verdauung, Atmung und Psyche hat.
Die Anatomie des Hüftbeugers
Der Hüftbeuger ist kein einzelner Muskel, sondern besteht aus mehreren Muskeln: dem Musculus iliacus (Darmbeinmuskel) und dem Musculus psoas major (großer Lendenmuskel) sowie dem Musculus psoas minor (kleiner Lendenmuskel).
Der Psoas Major entspringt am zwölften Brustwirbel (der mit T12 bezeichnet wird), zieht weiter über alle fünf Lendenwirbel (L1 bis L5) durch die Leiste bis hin zu unserer Oberschenkelinnenseite.
Dieses Bild zeigt sehr gut auf, wie großflächig und weitläufig sich diese Muskelgruppe in unserem Körper ausbreitet. Sie verbindet außerdem die Becken– und Lendenregion miteinander und ist somit ein wichtiger Dreh– und Angelpunkt im Körper.
Man kann auch gut erkennen, dass der M. Psoas der einzige Muskel ist, welcher die Beine mit der Wirbelsäule verbindet! Durch diese tiefe Verbindung hat er zudem Einfluss auf die Organfunktionen der Nieren und des Dünndarms.
Kurzum, der M. Psoas umschließt unsere Körpermitte und damit auch unser Energiezentrum, im Japanischen „Hara“ genannt. Im Pilates bezeichnen wir diese Region als „Core“.
Der Seelenmuskel
Warum wird der Psoas Muskel auch als Seelenmuskel bezeichnet?
Der Psoas wird auch als Seelenmuskel bezeichnet, da er aufgrund seiner anatomischen Lage an vielen emotionalen Prozessen beteiligt ist. Durch die tiefe fasziale Verbindung zwischen Zwerchfell und Beckenboden hat er einen starken Einfluss auf die Körperhaltung, die Bewegung des Beckens und spielt auch eine wichtige Rolle bei der Atmung und der Stressreaktion.
Die Folge: Sobald der Körper Stress wahrnimmt und zusätzlich emotionale Prozesse ablaufen, kann es zu Verspannungen und Schmerzen im Iliopsoas kommen. Die Atmung wird flacher, was sich wiederum auf die gesamte Durchblutung des Körpers auswirkt und in weiterer Folge auch die mentale und emotionale Gesundheit negativ beeinflusst.
Ursache für Beschwerden auf organischer und emotionaler Ebene
Wenn wir uns zudem zu wenig bewegen und zu viel sitzen, stauen sich die Organe und die Muskeln verkürzen sich. Die Atmung nimmt ab und die Organe werden weniger stimuliert, wie z.B. die Nebennieren.
Welchen Einfluss hat ein verkürzter Iliopsoas auf die Nebennieren?
Ein verkürzter, verhärteter Iliopsoas hat insofern Einfluss auf die Nebennieren, als er, wie bereits erwähnt, eng mit dem Nervensystem verbunden ist.
Vereinfacht kann man sich das so vorstellen:
Bei einer Stressreaktion sendet der Iliopsoas ein Signal an das Nervensystem, das die Nebennieren aktiviert und den Körper in einen Spannungszustand versetzt. Kurzfristig ist das eine sehr gute Reaktion, denn so können wir schnell auf eine drohende Gefahr reagieren.
Eine dauerhafte Anspannung des Muskels kann jedoch zu einer Überaktivität der Nebenniere führen, die neben anderen gesundheitlichen Problemen auch Erschöpfung, Schlafstörungen und ein erhöhtes Risiko für Herz–Kreislauf–Erkrankungen mit sich bringt.
Welche Aufgaben haben die Nebennieren?
Die Nebennieren sind Teil des endokrinen Systems*, das unter anderem die Hormone Adrenalin und Cortisol produziert. Beide Hormone spielen eine wichtige Rolle bei der Stressreaktion des Körpers.
Adrenalin erhöht die Herzfrequenz, erweitert die Bronchien und steigert die Durchblutung der Muskeln, sodass der Körper schnell auf eine Bedrohung reagieren kann.
Cortisol hingegen ist ein lang wirkendes Stresshormon, das die Energiereserven des Körpers mobilisiert und Entzündungsreaktionen unterdrückt.
Beide Hormone beeinflussen auch das ZNS (Zentrales Nervensystem) und das VNS (Vegetatives Nervensystem), die wiederum die Aktivität von Organen und Geweben beeinflussen. Eine Überproduktion der beiden Hormone führt zu einer Anspannung des Körpers und zu veränderten Körperfunktionen wie Herzklopfen, Schwitzen und erhöhter Wachsamkeit.
Weitere Folgebeschwerden können sein:
- Verdauungsprobleme
- Flache Atmung sowie erhöhte Atemfrequenz
- Hormonschwankungen
- Kopfschmerzen
- Depressive Verstimmung etc.
Auch die Trauma–Forschung schenkt dem Musculus Iliopsoas immer mehr Beachtung. Es wird vermutet, dass negative Ereignisse im Muskel abgespeichert werden können. Entspannen wir den Psoas, könnten sich im besten Fall auch emotionale Blockaden lösen.
Therapeuten und Osteopaten berichten darüber, dass Patienten während der Behandlung vom Psoas zu weinen beginnen, was für eine Therapie sehr unterstützend sein kann.
Ursache für Beschwerden und Schmerzen
Da sich der Muskel wie oben beschrieben von der Brustwirbelsäule bis zum Oberschenkel zieht, ist es nicht verwunderlich, dass gerade durch eine Verkürzung eines solch großen und vielseitigen Muskelstranges Probleme und Schmerzen
- in der Lendenwirbelsäule bzw. im unteren Rücken sowie
- im Gesäß, in der Leiste und direkt im Hüftgelenk auftreten.
- Und dass die Stabilität im Hüftgelenk abnimmt, was sich wiederum negativ auf das Kniegelenk auswirkt.
Beschwerden und Schmerzen vorbeugen
Was können wir vorbeugend tun?
Aufgrund seiner stabilisierenden wie auch beweglichen Funktion muss der Psoas nicht nur dehnfähig, sondern auch kräftig sein. Gerade für Menschen, die eine sitzende Tätigkeit ausführen, sind beide Impulse wichtig.
Sorgen wir hier nicht für einen optimalen Ausgleich, kippt das Becken und wir neigen zu einer verstärkten Lendenlordose, umgangssprachlich auch Hohlkreuz genannt. Die Bandscheiben erfahren eine Kompression, was wiederum zum Widerstand in den Lenden und im Gesäßbereich führt.
„Kümmere dich um deinen Körper, damit sich die Seele wohl darin fühlt.“
JOSEPH PILATES
Die Folgen daraus
Die Haltung verliert ihre funktionelle Statik, was ein gelöstes und freies Bewegen einschränkt und zu Fehlhaltungen führt. Der Teufelskreis beginnt und Schmerzen treten dort auf, wo unsere schwächste Stelle ist.
Doch auch Sportler haben ihre Probleme mit dem Hüftbeuger, da sie sich oft zu einseitig bewegen. Ein Läufer, Radfahrer, Langläufer etc. ist dazu aufgefordert, sich mehr zu dehnen und mehrdimensional zu mobilisieren.
Fazit
All diese Funktionen zeigen auf, welche tragende Rolle unser Hüftbeuger in unserem Leben spielt.
- Er sorgt nicht nur für ein leichtes, natürliches Gangbild und für eine aufrechte Haltung,
- er stützt auch den unteren Bereich des Rückens, also die Lendenwirbelsäule und beugt somit Fehlbelastungen vor.
- Er unterstützt unsere wichtigsten Stoffwechsel– und Entgiftungsorgane wie Dünndarm, Nieren und Lungen.
- Er beeinflusst unsere Psyche, lässt uns aufrecht im Leben stehen und sorgt für innere Stabilität.
Deshalb gilt: sich soviel und bewusst wie möglich
- zu bewegen,
- zu atmen, mental zu entspannen
- und den Muskel immer wieder zu entspannen.
Dies ist die Basis, um all diese Funktionen aufrechtzuerhalten, sei es auf physischer wie auch auf psychischer Ebene.
Eine Möglichkeit, um alle diese Komponenten zu erfüllen, bietet dir der Pilatesclub.de.
Die Hüftbeweglichkeit trainieren und verbessern wir unter anderem mit folgenden Übungen:
- Leg Slide,
- Hip Rolls,
- Hip Extension,
- Shoulder Bridge und
- Entspannungsübungen, kombiniert mit einer tiefen Atmung.
*endokrines System
Das endokrine System ist ein System aus spezialisierten Organen, Geweben und Zellgruppen, das die Steuerung komplexer Körperfunktionen (z.B. Wachstum, Fortpflanzung) mithilfe von Botenstoffen (Hormonen) vollzieht.
Quelle: https://flexikon.doccheck.com/de/Endokrines_System
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Hallo Maria,
Ihre Website ist außergewöhnlich professionell. Ohne anatomische Kenntnisse bleibt doch jeder “Sport” luftig. Vielleicht finden Sie auch einmal Zeit, den ultimativen Artikel über den Schulterbereich zu verfassen. Im Internet finde ich nur Halbheiten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufklärungen!
Max Griesmeier
Hallo Max!
Vielen Dank für dein positives Feedback.
Gerne kann ich demnächst einen weiteren Artikel zum Thema Schultergürtel erfassen.
Hättest du dazu eventuell auch eine spezifische Frage bzw. ein gezieltes Anliegen?
Im Artikel Shoulder-Girdle-Placement bin ich bereits auf den Schultergürtel und Rotatorenmanschette eingegangen.
https://www.pilatesclub.de/shoulder-girdle-placement-pilates-uebungen-gegen-schulterschmerzen/
Würden uns sehr freuen, wenn du uns noch einen weiteren Hinweis bezüglich Thema Schultergürtel oder einem anderen Thema schreiben könntest!
Wünschen dir inzwischen eine aktive und schöne Zeit!
Liebe Grüße
Maria und das Pilatesclub Team